Paraschat Nitzawim
27./28. September 2019
28. Elul 5779
Dewarim 29:9 – 30:20
Haftara: Jeschajahu 61:10 – 63:9
Hier können Sie das DAF aös pdf herunterladen: Daf Nitzavim 5779
Die Parascha in Kürze
• Erneuerung des Bundes mit Haschem für alle Generationen
• Warnung vor Götzendienst und Exil
• Zukünftige Erlösung
• Immerwährende Zugänglichkeit der Tora für jeden Juden
• Freier Wille im Gegensatz zu Vorherbestimmung
Konzept der Woche
הַעִדֹתִי בָכֶם הַיּוֹם אֶת־הַשָּׁמַיִם וְאֶת־הָאָרֶץ הַחַיִּים וְהַמָּוֶת נָתַתִּי לְפָנֶיךָ הַבְּרָכָה וְהַקְּלָלָה וּבָחַרְתָּ בַּחַיִּים לְמַעַן תִּחְיֶה אַתָּה וְזַרְעֶךָ:
„Himmel und Erde habe ich heute zu Zeugen wider euch bestellt, ich habe das Leben und den Tod vor dich hingegeben, den Segen und den Fluch. Wähle das Leben, damit du lebest, du und deine Nachkommen.“ (30:19)
In diesem Vers mahnt Haschem das jüdische Volk: Wähle das Leben, damit du lebest, du und deine Nachkommen. Es liegen zwei Fragen dazu nahe. Warum ist es erstens nötig, dies zu betonen? Natürlich wird jemand, der das Leben wählt, leben und jemand, der den Tod wählt, wird sterben! Und zweitens: warum erwähnt der Vers die Nachkommen? Ist es denn nicht so, dass die Nachkommen das Leben wählen müssen, wenn sie leben wollen? Es sollte doch nicht ausreichen, dass ihre Eltern für sie das Leben wählen, oder?
Rav Mosche Feinstein (1895-1986) erklärt dazu, dass die Tora hier nicht erklärt, was geschieht, wenn man das Leben wählt. Vielmehr enthüllt sie an dieser Stelle, wie man zu leben wählen soll. Ein Mensch kann beschließen, ein toratreues Leben zu führen und alle Mitzwot genau zu beachten. Aber gleichzeitig kann es sein, dass er sich innerlich nur zähneknirschend dazu durchgerungen hat, weil er meint, dass er es tun muss und es von ihm erwartet wird, so zu leben. Diese Art zu leben mag zwar für ihn ausreichen, aber es wird gewiss keinen positiven Eindruck auf seine Kinder machen. Kinder spüren immer, ob Erwachsene mit ihnen ehrlich sind. Ein Leben aus Pflichtgefühl wird von ihnen schnell durchschaut und spornt sie wenig zur Nachahmung an. Es gehört schon mehr dazu, sie für ein traditionell geführtes jüdisches Leben Feuer und Flamme werden zu lassen. Wenn die Eltern ihren Kindern nur jüdische Pflichten vorleben und keine Freude darin fühlbar ist, werden sich die Kinder früher oder später davon abwenden, denn wer will schon ein freudloses Dasein mit endlosen Auflagen fristen?
Oft sprach Rav Feinstein über die immensen Schwierigkeiten, mit denen die meisten frommen Juden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Amerika konfrontiert waren. Es war üblich, sechs Tage zu arbeiten, aber es war der Sonntag, der arbeitsfrei war. Wenn jemand am Samstag nicht zur Arbeit erschien, wurde ihm am Montag meistens die Entlassung ausgehändigt. Um ihre Familien zu ernähren, gingen viele jüdische Männer am Schabbat zur Arbeit, nachdem sie zuvor in einem sehr frühen Minjan die Schabbatgebete verrichtet hatten. Sie litten darunter, sich diesen äußeren Zwängen ergeben zu müssen und sagten zu Hause oft (auf Jiddisch): „Es is schwer zu sein a Jid!“ Ihre Kinder folgerten meistens daraus, dass es diese Opfer nicht wert sei, ein toratreues Leben zu führen, und nahmen den „American way of life“ an.
Haschem wünscht nicht, dass wir die Tora nur annehmen, weil wir es müssen. Wir sollen die Mitzwot mit großer Freude erfüllen, weil wir wissen, dass dies der wirkliche Inhalt unseres Lebens ist und nicht die Jagd nach Erfolg, Geld und Macht. Materielle Dinge vergehen, aber Mitzwot führen zu einer Belohnung, die Zeit und Raum sprengt.
Die Tora unterstreicht, dass wir das Leben wählen sollen – ein Leben voller Simcha, wirklicher Freude, weil wir das Privileg haben, Juden zu sein und das Geschenk der Tora erhalten haben. Diese Freude wirkt ansteckend und unsere Nachkommen werden gern und mit Freude in unsere Fußstapfen treten.
Allen Lesern ein Ketiwa veChatima Towa und ein Schana Towa uMetuka – ein gutes und süßes neues Jahr.
Frage der Woche: Was ist einzigartig an der Fähigkeit eines Menschen, freien Willen ausüben zu können (im Gegensatz zu einem Tier)? Antwort, s.G.w., im nächsten Daf.
Antwort auf die zuletzt gestellte Frage: Auf welchen Teil des Dienstes im Bet HaMikdasch (Tempel) wird mit Vers 28:47 angespielt? Es deutet auf die Schira (Gesang und Musizieren) der Levi’im an, die ein Teil des Tempeldienstes ist, der mit Freude getan werden muss.
Biographie der Woche
Rabbi Chaim Jehuda Leib Auerbach
Jahrzeit 28. Elul
Rav Chaim Jehuda Leib Auerbach wurde 1883 in eine sehr angesehene rabbinische Familie geboren. Er heiratete Zivja, eine Tochter von Rav Schlomo Salman Porusch (1850-1898), der das Jerusalemer Viertel Scha’arej Chessed mitbegründet hatte. Der älteste Sohn aus dieser Verbindung war Rav Schlomo Salman Auerbach (1910-1995), einer der bedeutendsten Poskim (halachischen Dezisoren) der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Rav Chaim Jehuda Leib Auerbach lebte mit seiner Familie in absoluter Armut in Jerusalem – ein Schicksal, das er mit den meisten anderen Bewohnern der Stadt teilte.
1906 war er ein Mitbegründer und Rosch Jeschiwa der Jeschiwa Scha’ar HaSchomayim, die sich auch heute sehr dem Studium der lurianischen Kabbala widmet. Zur damaligen Zeit gab es in Jerusalem keine aschkenasische Jeschiwa, wo intensiv Kabbala gelernt wurde. Die Aufnahmekriterien waren und sind sehr streng und eine solide klassisch- jeschiwische Vorbildung ist ein sine qua non dafür, dort als Talmid (Schüler) akzeptiert zu werden. Als anerkannte Toragröße leitete Rav Auerbach nicht nur die Jeschiwa, sondern man wandte sich auch mit halachischen Fragen an ihn.
Rav Chaim Jehuda Leib schrieb einen Kommentar zur Tora, Chacham Lev, und starb 1954 in Jerusalem.
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