Es gibt einen wunderschönen Moment in der Parascha dieser Woche, der Moses in seiner ganzen Großzügigkeit als Führer zeigt. Er folgt einem Moment tiefster Verzweiflung. Das Volk hat sich, wie schon so oft, beschwert, diesmal über das Essen. Sie sind des Mannas überdrüssig, stattdessen wollen sie Fleisch. Moses, entsetzt darüber, dass sie immer noch nicht den Preis der Freiheit zu akzeptieren gelernt haben, betete, dass Gott ihn zu sich nimmt. „Wenn du so mit mir verfahren willst“, sagt er zu Gott, „so töte mich doch lieber jetzt, wenn ich Gnade in deinen Augen gefunden habe, dass ich nicht mein Unglück mit anzusehen brauche“ (Num. 11:15).
Gott erwidert ihm, er möge siebzig Älteste ernennen, die ihm mit der Last der Führung helfen sollen. Moses tut dies, und der göttliche Geist ruht auf ihnen allen. Darüber hinaus wird die prophetische Gabe auch zwei Männern zuteil, die nicht unter den auserwählten siebzig Ältesten waren: Eldad und Medad. Offensichtlich hatte Moses aus jedem der zwölf Stämme sechs Männer ausgewählt, insgesamt also 72, und dann Eldad und Medad durch das Los ausgesondert. Dessen ungeachtet kommt die göttliche Inspiration auch über sie.[1]
Josua, Moses’ Stellvertreter, warnt, dass dies eine potenzielle Bedrohung sei, Moses aber erwidert in edelmütigem Großmut: „Bist du für mich eifersüchtig? O, wären doch alle vom Volke Gottes Propheten, und wollte der Ewige seinen Geist auf ihnen ruhen lassen! (Num. 11:29)“
Das steht in scharfem Kontrast zu Moses Verhalten später, als seine Führung von Korach und seinen Anhängern angefochten wird. Bei dieser Gelegenheit zeigte er keine Sanftmut oder Großzügigkeit. Im Gegenteil, er betet sogar, dass der Boden sie verschlingt, dass sie „lebendig in die Gruft fahren“ (Num. 16:28-30). Er ist scharf, entschlossen und unversöhnlich. Was hat es mit den unterschiedlichen Reaktionen auf Korach einerseits und auf Eldad und Medad andererseits auf sich?
Um dies zu verstehen, ist es unerlässlich, den Unterschied zwischen zwei Begriffen, die oft miteinander verwechselt werden, klar zu definieren: Macht und Einfluss. Wir neigen dazu, sie als ähnlich, wenn nicht gar identisch anzusehen. Mächtige haben Einfluss, Einflussreiche haben Macht. Doch unterscheiden sich beide Begriffe voneinander und folgen jeder seiner eigenen Logik, wie ein einfaches Gedankenexperiment zeigen wird.
Stellen Sie sich vor, Sie haben die totale Macht, was Sie sagen, wird gemacht. Dann beschließen Sie eines Tages, Ihre Macht mit neun anderen zu teilen. Sie haben nun bestenfalls ein Zehntel der Macht, die Sie vorher hatten. Jetzt stellen Sie sich stattdessen vor, dass Sie ein gewisses Maß an Einfluss haben. Sie beschließen, sich neun Partner zu nehmen, mit denen sie Ihren Einfluss teilen. Verglichen mit vorher, haben Sie nun den zehnfachen Einfluss, denn statt Sie allein sind es nun zehn Personen, die ihre Botschaft vermitteln.
Macht teilt sich, Einfluss weitet sich aus. Macht ist, mit anderen Worten, ein Nullsummenspiel: Je mehr Sie teilen, desto weniger haben Sie. Einfluss ist hingegen kein Nullsummenspiel: Je mehr Sie teilen, desto mehr haben Sie.
Während seiner vierzig Jahre an der Spitze des Volkes hatte Moses zwei verschiedene Führungsrollen inne. Er war ein Prophet, der den Israeliten die Tora lehrte und direkt mit Gott kommunizierte. Er war aber auch das Äquivalent eines Königs, er führte das Volk auf seinen Wanderungen, lenkte seine Geschicke und versorgte es mit seinen Bedürfnissen. Die einzige Führungsrolle, die er nicht hatte, war die des Hohepriesters; diese ging an seinen Bruder Aaron.
Wir können diese Dualität später in der Erzählung nachverfolgen, wenn er Josua als seinen Nachfolger einführt. Gott befiehlt ihm: „Nimm Josua, den Sohn Nuns, einen Mann göttlichen Geistes, und stütze dich mit der Hand auf ihn. Gib ihm etwas von deiner Ehre (Hod), damit die ganze israelitische Gemeinde auf ihn höre. (Num. 27:18 und 20)“
Man beachte die zwei verschiedenen Handlungen. Die eine, „stütze dich mit der Hand [wesamachta] auf ihn“, ist der Ursprung des Begriffs Semicha, womit ein Rabbiner einen Schüler ordiniert und ihm die Autorität verleiht, selbständig Urteile zu fällen. Die Rabbiner sahen sich in ihrer Rolle als Fortsetzung der Propheten („Moses empfing die Tora vom Sinai und gab sie an Josua weiter; Josua an die Ältesten; die Ältesten an die Propheten; und die Propheten gaben sie an die Männer der großen Synode weiter“, Mischna Awot 1:1). Durch diesen Akt der Semicha gab Moses seine Rolle als Prophet an Josua weiter.
Mit der anderen Handlung, „Gib ihm etwas von deiner Ehre“, führte er ihn in die Rolle des Königs ein. Das hebräische Wort Hod, Ehre, verbindet sich mit dem Königtum, wie in der biblischen Formulierung Hod Malchut, „die Ehre des Königtums“ (Dan. 11:21; I Chronik 29:25).
Könige hatten Macht, auch die über Leben und Tod (siehe Josua 1:18). Propheten hatten keine Macht, aber sie hatten Einfluss, nicht nur zu ihren Lebzeiten, sondern in vielen Fällen bis zum heutigen Tag. Um Kierkegaard zu entsprechen: Wenn ein König stirbt, endet seine Macht. Stirbt ein Prophet, beginnt sein Einfluss.
Jetzt sehen wir genau, warum Moses’ Reaktion im Fall von Eldad und Medad sich so sehr von der in der Begebenheit von Korach und seinen Anhängern unterschied. Eldad und Medad hatten keine Machtbestrebungen und es wurde ihnen keine Macht zuteil. Sie empfingen lediglich denselben Einfluss, den göttlichen Geist, der von Mose ausging: Sie wurden zu Propheten. Deshalb sagte Moses: „O, wären doch alle vom Volke Gottes Propheten, und wollte der Ewige seinen Geist auf sie legen!“ Prophetie ist kein Nullsummenspiel. Handelt es sich um Führung als Einfluss, gilt: Je mehr wir teilen, desto mehr haben wir.
Korach, oder zumindest einige seiner Anhänger, strebten nach Macht, und Macht ist ein Nullsummenspiel. Wenn es um Malchut, die Führung in Form der Macht, geht, lautet die Regel: „Es gibt einen Anführer für eine Generation, nicht zwei.“[2] Im Reich des Königs ist ein Streben nach Macht ein versuchter Staatsstreich und muss mit Gewalt abgewehrt werden. Andernfalls ist das Ergebnis eine Zweiteilung der Nation, wie es nach dem Tod von König Salomon geschah. Moses konnte die Herausforderung durch Korach nicht unwidersprochen lassen, ohne seine eigene Autorität schicksalhaft zu gefährden.
Das Judentum grenzt also klar zwischen Führung als Einfluss und Führung durch Macht ab. Es befürwortet uneingeschränkt die erste und steht der zweiten sehr ambivalent gegenüber. Der Tanach ist eine fortwährende Polemik gegen den Gebrauch von Macht. Alle Macht, so die Tora, kommt rechtmäßig Gott zu. In einer unvollkommenen Welt erkennt die Tora die Notwendigkeit an, zur Verteidigung des Reiches und der Rechtsstaatlichkeit auch Koerzitivkraft anzuwenden. Daher befürwortet sie die Ernennung eines Königs, wenn das Volk dies wünscht.[3] Aber dies ist eindeutig ein Zugeständnis, kein Ideal.[4]
Die wirkliche Führung, die der Tanach und das rabbinische Judentum annehmen, ist die des Einflusses, vor allem der Propheten und Lehrer. Wie wir schon oft bemerkt haben, ist dies die höchste Auszeichnung, die Moses von der Tradition verliehen wird. Wir kennen ihn als Mosche Rabbeinu, Moses unseren Lehrer. Moses war der erste in einer langen Reihe von Persönlichkeiten in der jüdischen Geschichte – darunter Esra, Hillel, Rabban Jochanan Ben Sakai, Rabbi Akiwa, die Weisen des Talmuds und die Gelehrten des Mittelalters -, die eine der revolutionärsten Ideen des Judentums verkörperten: der Lehrer als Held.
Das Judentum war die erste und größte Zivilisation, die ihr Überleben auf Bildung, Studienhäuser und das Lernen als eine selbst das Gebet übertreffende religiöse Erfahrung gründete.[5] Dies leitet sich von dem Verständnis ab, dass Führer Menschen sind, die in der Lage sind, andere dazu zu mobilisieren, auf bestimmte Weise zu handeln. Erreichen sie dies nur, weil sie Macht über andere ausüben, behandeln sie die Menschen als Mittel und nicht als Zweck – als Dinge und nicht als Personen. Nicht zufällig war Machiavelli der größte Autor über Führung als Macht.
Dem gegenüber steht der Ansatz, die Bedürfnisse und Bestrebungen der Menschen anzusprechen und ihnen beizubringen, wie sie diese gemeinsam als Gruppe erreichen können. Das geschieht durch die Klarheit einer Vision und die Kraft der Persönlichkeit, die Fähigkeit, gemeinsame Ideale in einer Sprache zu artikulieren, mit der sich die Menschen identifizieren können, als auch die Fähigkeit, „viele Schüler aufzuziehen“, die die Arbeit in der Zukunft fortsetzen werden. Macht reduziert jene, auf die sie ausgeübt wird, Einfluss und Bildung erheben sie und verleihen ihnen Größe.
Das Judentum ist ein anhaltender Protest gegen das, was Hobbes die „allgemeine Neigung aller Menschen“ nannte, nämlich „ein immerwährendes und ruheloses Verlangen nach Macht, das nur im Tod aufhört.“[6] Das mag der Grund dafür sein, warum Juden selten über längere Zeiträume Macht ausgeübt haben, jedoch einen Einfluss auf die Welt hatten, der in keinem Verhältnis zu ihrer Zahl stand.
Nicht alle von uns haben Macht, aber wir alle haben Einfluss. Deshalb kann jeder von uns ein Führer sein. Die wichtigsten Formen der Führung sind nicht mit einer Position, einem Titel oder einem Amt verbunden, nicht mit Prestige und Macht, sondern mit der Bereitschaft, mit anderen zusammenzuarbeiten, um das zu erreichen, was wir allein nicht schaffen können; zu reden, zuzuhören, zu lehren, zu lernen, die Ansichten anderer Menschen mit Respekt zu behandeln, auch wenn sie nicht mit uns übereinstimmen, geduldig und überzeugend zu erklären, warum wir glauben, was wir glauben, und warum wir tun, was wir tun; andere zu ermutigen, ihre besten Bemühungen zu loben und sie herauszufordern, noch besser zu werden. Entscheiden Sie sich immer für Einfluss anstatt für Macht. Er vermag Menschen zu bewegen, die Welt zu ändern.
[1] Siehe Sanhedrin 17a.
[2] Sanhedrin 8a.
[3] Deut. 17:15-20; I Samuel 8.
[4] Dies ist jedenfalls die Ansicht von Ibn Esra, Rabbejnu Bachja und Abarbanel.
[5] Siehe Shabbat 10a.
[6] Thomas Hobbes, Leviathan, Teil 1, Kap. 11.