Der Wochenabschnitt Mezora berichtet uns über Zara’at, eine Art Aussatz, der auf einen geistigen Missstand des Besitzers hindeutete und an Haus, Kleidung oder Körper eines Menschen zu finden war.
Raschi kommentiert, gestützt auf einen Midrasch, dass diese Krankheit für das jüdische Volk in Wirklichkeit eine frohe Botschaft bedeutete, weil die Emoriter, die das Land zuvor bewohnten, große Mengen an Gold in den Wänden ihrer Häuser zu verstecken pflegten. Wenn die Häuser mit »Aussatz« befallen wurden, waren die Israeliten verpflichtet, die Wände des Hauses einzureißen. Dabei fanden sie die verborgenen Schätze.
Dieser Midrasch ist sehr merkwürdig, denn Zara’at-Befall ist den Kommentatoren nach auf Laschon Hara, also üble Nachrede, zurückzuführen. Wie kann dann die Strafe für Zara’at in einem monetären Gewinn resultieren?
ENTWICKLUNG Rabbi Meir Zvi Bergman behandelt in seinem Werk »Shaarei Orah« diesen Midrasch und vermittelt uns einen sehr wichtigen Gedanken. Rambam schreibt in seinem Werk »Mischne Tora« (Hilchot Tzarat 16,10) Folgendes: »Ein Zeichen und ein wundersames Ereignis geschah in Israel, um sie vor Laschon Hara zu warnen; wenn jemand Laschon Hara redete, veränderten die Wände seines Hauses ihr Aussehen; wenn er damit weitermachte, veränderten sich die ledernen Geräte in seinem Haus; wenn er damit nicht aufhörte, veränderten sich seine Kleider; wenn er immer noch damit weitermachte, veränderte sich seine eigene Haut …«
Wir erkennen die fortschreitende Entwicklung von Zara’at: Zuerst betraf es das Haus des Betreffenden, was also eine erste Warnung darstellte. Wenn er sich nicht änderte, rückte die Warnung ein bisschen näher – nun traf es die Kleider, die er auf seinem Körper trug. Falls er es immer noch nicht lassen konnte, Laschon Hara zu sprechen, wurde sein eigener Körper angesteckt, was dazu führte, dass er das Lager verlassen musste und ausgeschlossen wurde.
Rav Bergman fährt fort und vergleicht die Tochacha, die Zurechtweisung des jüdischen Volkes, in Paraschat Bechukotaj, welche mit einem Trost endet, mit der Tochacha in Paraschat Ki Tawo. Letztere endet ohne Worte des Trostes, obwohl sie länger und viel deutlicher ist. Er erklärt, dass die Tochacha in Paraschat Ki Tawo keine Trostworte braucht, während die in Paraschat Bechukotaj dies benötigt.
TROST Worin besteht der Unterschied zwischen den beiden Zurechtweisungen? Der Unterschied besteht darin, dass G’tt in Paraschat Ki Tawo in der ersten Person spricht (»Ich werde dich strafen …«). Die Strafe kommt eindeutig direkt von G’tt selbst. In der Tochacha in Paraschat Bechukotaj ist das Fehlen der g’ttlichen Präsenz auffallend: »Und ihr benahmt euch mir gegenüber in der Art und Weise von ›keri‹ (Gleichgültigkeit); deshalb werde auch Ich euch im Zorn auf die Art von ›keri‹ entgegentreten« (3. Buch Mose 26, 27–28). Dies bedeutet, dass die Strafe darin bestand, dass G’tt dem jüdischen Volk verkündete: »Ihr seid auf euch alleine gestellt.«
Was ist noch schlimmer, als eine Strafe vom Vater zu bekommen? Einen Vater zu haben, dem das Kind völlig egal ist. Wenn man einen Vater hat, der sich um sein Kind kümmert und ihm bei Bedarf eine Strafe erteilt – das allein ist schon eine Art Trost. Denn obwohl man das nicht immer oder sofort erkennt, bedeutet das, dass es einen Vater gibt, der sich um einen sorgt und einen deswegen erziehen und verbessern möchte. Denn wenn der Vater alles erlaubt, kann das im Umkehrschluss etwa bedeuten: »Du bist auf dich allein gestellt, mach, was du willst – es ist mir egal!« Und das ist viel schlimmer.
Darin, so sagt Rav Bergman, liegt der Unterschied zwischen Paraschat Bechukotaj und Paraschat Ki Tawo. In Paraschat Bechukotaj kritisiert G’tt das Volk Israel dafür, dass es alles dem Zufall zuschreibt und kündigt an: »Ich werde euch zeigen, was es bedeutet, ohne Vater, der sich um euch sorgt, leben zu müssen.« Das ist so eine furchtbare Strafe, dass diese Tochacha mit einem Trost abschließt.
RÜGE Die Rüge in Ki Tawo heißt: »G’tt wird dich schlagen …«. Es mag noch so beängstigend sein, doch wenigstens ist klar, dass Er selbst die Strafe verhängt hatte. Diese Tatsache ist schon ein Trost.
Wenn man eine Zurechtweisung als aufbauend empfindet, dann fühlt man sich gar nicht richtig bestraft. Wenn es mir bewusst ist, dass ich etwas Unrechtes tue und G’tt versucht, mich davon abzuhalten, indem Er mich straft – so ist dies keine Strafe mehr. Es ist eine Zurechtweisung, und ich weiß, dass ich einen Vater habe, der sich um mich kümmert.
Wenn jemand Laschon Hara spricht und die Wände seines Hauses daraufhin befallen werden, so stellt dies keine Strafe dar, sondern lediglich einen Ausdruck der Fürsorge. Falls die Person auf diese Warnung von G’tt reagiert, dann hatte dieses Signal die gewünschte Wirkung. Hier ist keine richtige Strafe verhängt worden. Der Person gebührt für ihre Sensibilität und die Fähigkeit zur Selbstreflexion sogar eine Belohnung.
Jeder sündigt manchmal. Doch wenn G’tt eine Warnung erlässt und dies genügt, damit man sein Fehlverhalten verbessert, so ist dies ein bestmögliches Szenario. Mehr als das: Diese Person wird dafür belohnt, weil sie G’ttes Stimme vernahm. Probleme entstehen nur dann, wenn Menschen eine Strafe nicht richtig zu deuten vermögen.
SCHATZ Wir können nun den Midrasch zu unserem Wochenabschnitt verstehen. Spricht jemand Laschon Hara, so ist das erste Zeichen G’ttes: »Schaue dir deine Wand an.« Wenn der Betroffene sich dies zu Herzen nimmt und ihm bewusst wird, dass er Schlechtes gesprochen hat, er daraufhin beschließt, sein Verhalten zu ändern, und zum Kohen geht, ihm die Wand des Hauses zeigt und die Wand dem verordneten Ritual unterzieht – dann hat er dafür eine Belohnung verdient, einen Schatz im Haus. Es ist eine Mizwa und sehr lobenswert, zu Beginn von Leiden sein Verhalten zu prüfen.
Was geschieht jedoch, wenn ein Mensch nichts tut und das Leid nicht als Hinweis G’ttes erkennt? Dann verschlimmert sich seine Lage. Seine Kleider werden befallen. Falls er immer noch keine Reue zeigt, geht die Plage weiter auf seinen Körper. Zu diesem Zeitpunkt ist es schon eine ausdrückliche Strafe.
Wenn man die Sprache der Tora genau betrachtet, kann man den obigen Gedanken erkennen. Im Zusammenhang mit dem Schaden am Haus benutzt die Tora den Ausdruck: »er (der Hausbesitzer) wird kommen und dem Kohen darlegen«, es geschieht also freiwillig (3. Buch Mose 14,35); wenn es jedoch um den Ausschlag an seiner Haut geht, sagt die Tora: »und er wird zum Kohen gebracht«, also gegen seinen Willen (13,9; 14,1). Die Person aber, welche die Besonnenheit und die Reife, das Bewusstsein und die Aufrichtigkeit hat, sich in so einer Situation richtig zu verhalten, kann sich glücklich schätzen.
Aus: Allgemeine Jöche Wochezeitung – 08.04.2022