Der wohl wichtigste und halachisch strengste dieser 4 rabbinischen Fasttage ist zweifellos der 9. Av, da er
- von Abend bis zum nächsten Abend dauert (also 24 Std.) und
- weil an ihm mehr Verbote und Vorschriften gelten als an den 3 anderen (z.B. das Verbot des Waschens oder das Verbot des Leder-Schuh-Tragens).
Und dennoch: Trotz seiner Strenge befreit die Halacha einen jüdischen Menschen, welcher krank ist, vom Fasten am 9. Av. Der RamBaN und ebenso andere Rischonim legen fest, dass das Fasten am 9. Av, trotz der Wichtigkeit und hohen Trauer dieses Tages (Tempelzertörung), einem Kranken nicht auferlegt werden darf. Und genau hierin unterscheidet sich der 9. Av von Jom Kipur. Denn an Jom Kipur ist nur derjenige vom Fasten befreit, der in Lebensgefahr schwebt oder dessen Leben direkt / oder potentiell vom Fasten gefährdet werden könnte. Am 9. Av dagegen gilt: Ein kranker Mensch, auch ohne in Lebensgefahr zu sein, kann sich vom Fasten befreien.
Und Folgendes schreibt der Schulchan Aruch: „Ein Kranker, der essen muss, wird (am 9.Av) sofort gefüttert, denn für Kranke legten die Gelehrten die Verbindlichkeit der Fasttage nicht fest.“ (Schulchan Aruch, Hilchot Tischa BeAv, סימן תקנד ס“ו). Und hierzu schreibt der „Mischna Brura“ in seinem Ergänzungskommentar auf den Schulchan Aruch: Ein Kranker in diesem Sinne ist wer „körperlich geschwächt ist und Beschwerden hat, auch wenn er nicht in Gefahr schwebt“.
Wir sehen also: Wer körperlich wirklich geschwächt oder krank ist, oder aufgrund seiner Schwäche durch das Fasten tatsächlich krank werden könnte, ist an sich vom Fasten am 9. Av befreit. Menschen in normaler körperlicher Verfassung sind, allgemein gesprochen, vom Fasten nicht befreit. (auch wenn sie nur leichte Beschwerden haben wie z.B. leichte, keine ernsthafte Migräne)
Was kleine Kinder betrifft, legt der „Magen Avraham“ fest: Ab dem 9. Lebensjahr neigen wir dazu, Kinder einige wenige Stunden fasten zu lassen, jedoch nicht mehr, um sie im Sinne der Mizvot und des Fastens zu erziehen. Das Essen, welches die Kinder dann am 9. Av zu sich nehmen, sollte einfaches, nicht übertriebenes Essen sein. Bis zum BarMizva / BatMizva-Alter hat ein Kind jedoch nicht durchgehend zu fasten. (siehe hierzu in Mischna Brura, סימן תק“נ סק“ה ).
Was schwangere und stillende Frauen betrifft, so finden wir eine interessante Auseinandersetzung: Nach dem Schulchan Aruch (siehe Stelle oben), sind diese Frauen ebenso verpflichtet am 9. Av zu fasten „ebenso wie an Jom Kipur“. Hier macht der Schulchan Aruch also keinen Unterschied. Der Grund dafür: In früheren Zeiten verstand man schwangere Frauen nicht als Menschen, die in einem körperlichen wirklich schwachen Zustand waren, daher galt für sie die Pflicht auch am 9. Av zu fasten. Die Poskim unserer Zeit sind jedoch mehrheitlich der Meinung, dass der kräftemäßige Zustand der Frauen unserer Generationen schwächer ist als in früheren Zeiten. Wir folgen also in diesem Punkt dem Schulchan Aruch nicht ganz (!) Rav Schlomo Salman Auerbach legte z.B. fest (ebenso auch andere), dass die „Frauen von heute“ anfälliger für Schwächeanfälle und Beschwerden sind, wenn sie fasten, daher dürfen sie halachisch erleichtern und nur dann fasten, wenn sichergestellt ist, dass sie es problemlos vertragen. (siehe Halichot Schlomo / Band: Moadim, Kap. 16). Generell sind aber schwangere Frauen heutzutage vom Fasten am 9. Av befreit, es sei denn sie legen Wert darauf wie alle anderen ebenso zu fasten, wenn ihr gesundheitlicher Zustand es zulässt.